Amberg-Sulzbach. Die gemeinsame Sitzung brachte es auf den Punkt: Alle sieben Oberpfälzer Landräte sind sich einig in der Beurteilung der humanitären Krise mit Millionen Ukrainern auf der Flucht. Ihr Sprecher, der Amberg-Sulzbacher Landrat Richard Reisinger, fasste es laut Pressemitteilung des Landratsamtes Amberg-Sulzbach bei der Bezirkssitzung des Bayerischen Landkreistages zusammen: „Es ist eine große Herausforderung, und wir stehen erst am Anfang. Die Flüchtlingsströme werden weiter andauern.“
Regierungspräsident Walter Jonas bedankte sich bei den Landräten, weil die „Abverlegung“ vom Ankerzentrum in Regensburg, wo die Flüchtlinge aus der Ukraine in der Regel ankommen, in die Landkreise sehr gut klappe. „Es treffen jeden Tag Busse ein, fast täglich sind rund 90 Ukrainer angekündigt.“ Durchweg lobten die Landräte die Arbeit und das Engagement der vielen ehrenamtlichen und privaten Helfer in der Oberpfalz. Das stelle das soziale Miteinander heraus. Auch die Zusammenarbeit zwischen Innenministerium, Bezirksregierung und Landkreisen laufe hervorragend, der Staat habe finanzielle Unterstützung zugesagt.
In der Corona-Pandemie rechnen die Oberpfälzer Landkreischefs weiter mit hohen Infektionszahlen. „Die Gesundheitsämter sind am Limit, sie kommen mit der Kontaktnachverfolgung längst nicht mehr hinterher und beschränken sich aktuell auf das Wesentlichste“, erklärte Andrea Degl, Geschäftsführendes Präsidialmitglied beim Landkreistag. Zurzeit herrsche eine extreme Verdichtung, rund 50 Prozent aller Coronafälle traten bis Ende 2021 auf, seitdem ist die andere Hälfte anhängig. Da könnten alle Fälle unmöglich abgearbeitet werden.
Die Oberpfälzer Landräte nehmen den Hilferuf aus den Gesundheitsämtern sehr ernst und wollen das Thema im Gesundheitsausschuss des Landkreistages einspeisen, „denn es handelt sich nicht nur um ein Oberpfälzer Phänomen, sondern die Situation ist bayernweit dieselbe“, erklärte Regierungspräsident Walter Jonas. Dazu komme, dass die Bundeswehr jetzt ihre personelle Corona-Hilfe eingestellt habe und sich wieder ihren originären Aufgaben widme.
Den Abschluss der Tagung der Oberpfälzer Landräte im Landratsamt Amberg-Sulzbach bildete ein Vortrag des ehemaligen Europa-Parlamentariers Bernd Posselt mit dem Thema „Die Ukraine und Europa.“
Wer ist Wladimir Putin, und wie ist die Lage in der Ukraine einzuschätzen? Kompetente Auskunft gab bei der Sitzung der Oberpfälzer Landräte der Präsident der Paneuropa Union und Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt. Auf Einladung von Landrat Richard Reisinger, Bezirkssprecher der Oberpfälzer Landräte, kam der langjährige frühere Europaparlamentarier ins Landratsamt Amberg-Sulzbach, wie der Pressemitteilung des Landratsamtes zu entnehmen ist.
Posselt blickte zunächst zurück auf die Geschichte der Ukraine, die sich 1919 zusammenschloss, bis der Einmarsch der Roten Armee der Demokratie ein Ende machte. München wurde 1945 zur Exilhauptstadt der Ukraine, so Posselt. Franz-Josef Strauß habe die Partnerschaft mit dem ukrainischen Volk stets gefördert. Eine Legende ist es Posselt zufolge, dass die Ukraine für die Zerschlagung der Sowjetunion 1989/90 mit verantwortlich gewesen ist. Das habe „Russland alleine besorgt, indem es unter Präsident Boris Jelzin aus der von Gorbatschow geleiteten Sowjetunion austrat“. Die Ukraine sei anerkannt worden als Staat, inklusive Donbass und Krim, habe 1994 ihre Atomwaffen und einen Großteil der konventionellen Bewaffnung abgegeben und dafür von Russland, Amerika und Großbritannien eine territoriale Unverletzlichkeitsgarantie erhalten, so Posselt. Die Nato habe die Ukraine nie zum Beitritt gedrängt, wohl aber habe sich Europa für deren Westkurs eingesetzt.
Wie die Pressemitteilung weiter berichtet, habe Bernd Posselt anschließend die Person von Wladimir Putin charakterisiert: Nach einer schwierigen Jugend habe sich der junge Putin (dessen Großvater übrigens Stalins Leibkoch gewesen sei) im sowjetischen Geheimdienst KGB hochgearbeitet, war lange für dessen Arbeit im geteilten Deutschland zuständig in seinem Dresdner Hauptquartier und erlebte dann den für ihn wohl traumatischen Zusammenbruch der Sowjetunion, den er als Verrat empfand. Als Vizebürgermeister von St. Petersburg habe Putin dann allmählich seine Mannschaften aufgebaut und wurde schließlich Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes. Jelzin habe den angeblichen „Saubermann“ schließlich als Premierminister geholt. „Schon damals hat Putin absichtlich Kriege entfacht wie etwa in Tschetschenien mit über 100.000 Todesopfern – damit ist er groß geworden.“
Im Jahr 2000 schließlich sei er als Präsident in Russland zur vollen Macht gekommen. Er habe sofort die Kandare angezogen und Journalisten und Menschenrechtler verfolgt. Viele Bekannte von Posselt, die sich kritisch gegenüber Putin gezeigt hatten, seien dafür bestraft worden: „Von ihnen lebt keiner mehr.“
Die so genannte „Eurasische Bewegung“ sei ebenfalls von Moskau aus gelenkt. Putin habe skrupellos Links- und auch Rechtsextremisten für seine antieuropäischen Ziele eingespannt und bezahlt, wie etwa in Frankreich. „Putin ist nicht plötzlich wahnsinnig geworden – alles, was er macht, ist von langer Hand solide aufgebaut“, sagt Posselt. Den Krieg in der Ukraine könne er aber nicht gewinnen, das 44-Millionen-Volk lasse sich nicht von ihm beherrschen. „Doch das wird fürchterliche Begleiterscheinungen und Verluste hervorrufen“, erinnerte er an den Partisanenkampf gegen Stalin. „Auf Dauer kann er sich nicht halten, doch jetzt kann er kaum mehr zurück.“
Posselt, so die Pressemitteilung abschließend, sprach sich „ohne Illusionen“ für eine Steigerung der Sanktionen gegen Russland aus, aber auch für die Nutzung des Verhandlungsweges und massive Hilfe für die Ukraine. Er zeigte sich froh über die Einigkeit des Westens und Europas, warb für eine Vertiefung des Bündnisses mit den USA und rief Europa auf, seine Sicherheit trotzdem wieder mehr in die eigene Hand zu nehmen.
(Berichte und Bild: Landratsamt Amberg-Sulzbach)