Regensburg. „Der Ansatz der Europäischen Kommission ist richtig: Europa ist auch in dieser Corona-Krise keine eierlegende Wollmilchsau, kann aber durch gezielte und koordinierende Maßnahmen die Rückkehr zu einer neuen Normalität in den Mitgliedstaaten maßgeblich unterstützen. Der Brüsseler Ansatz deckt sich mit unserer Strategie eines grenzübergreifend koordinierten Vorgehens – und einem starken Augenmerk auf Wiederherstellung von Grundrechten und Binnenmarkt, ohne dabei aber den Gesundheitsschutz zu reduzieren. Diese Balance ist möglich – und wichtig.
Wir brauchen eine starke europäische Rolle bei Datenauswertung und medizinischer Forschung. Empirische Grundlagen zu Corona müssen – nach der Hektik der ersten Wochen – deutlich besser vergleichbar und aussagekräftiger werden, um kein statistischer Pferdefuß zu sein. Europäische Standards können dabei helfen. Die Entwicklung moderner, leistungsstarker Schnelltests, wirksamer Medikamente und lebensrettender Medizintechnik wie Beatmungsgeräten muss unbürokratisch, schnell und massiv durch einen europäischen Pandemie-Fonds innerhalb des laufenden HORIZON2020-Programms gefördert werden.
Bayerische Beispiele wie die Martinsrieder Infektionstests oder die Ingolstädter Beatmungsgeräte zeigen, welche Innovation in dieser Krise möglich ist. Ich erwarte – wo erforderlich – eine massive Unterstützung dieser bayerischen und anderer Innovationstreiber durch den europäischen Forschungsetat. Ich meine: Gerade bei den Beatmungsgeräten kann Europa zudem durch eine öffentliche Beschaffung in hoher sechsstelliger Auflage für Marktsicherheiten sorgen und diese dann über den Katastrophenmechanismus RescEU an die massivst betroffenen Länder verteilen. Die Zulassung lebensrettender Innovation kann durch eine stärkere Vernetzung der nationalen Stellen enorm beschleunigt werden.
Selbiges gilt für den dringend erwarteten Impfstoff: Genehmigungszeiten von einem Jahr und mehr sind unverantwortlich. Das muss schneller gehen – gut, dass Kommissionspräsidentin von der Leyen das auch so sieht. Darüber hinaus muss die innereuropäische Medikamentenproduktion wieder hochgefahren werden – Komplettabhängigkeit von ein, zwei Lieferstaaten außerhalb der EU ist gefährlich. Ich habe Kommissionspräsidentin von der Leyen – wo verfügbar – ein Quorum von einem Drittel europäischer Medikamente bei der öffentlichen Beschaffung vorgeschlagen. Das schafft Anreize im Markt.
Europa tut gut daran, in dieser Krise die Hüterin der Freizügigkeit zu sein und gemeinsam mit den Mitgliedstaaten die Rückkehr zu einem gemeinsamen Grenzmanagement zu moderieren sowie Misstände und Fehlenticklungen zu ahnden. Das ist gerade für Bayern und seine Nachbarn von entscheidender Bedeutung. Corona darf nicht zum Steigbügelhalter für langfristige, inadäquate Grenzmaßnahmen und Restriktionen werden. Das gilt in einem eng verzahnten Binnenmarkt ausdrücklich für Berufspendler. Verhältnismäßigkeit ist hier – gerade auch aus bayerischer und ostbayerischer Sicht – das Gebot der Stunde, die Anpassung der Hygienemaßnahmen im Grenzraum ein wichtiger Schlüssel: Es kann nicht sein, dass ein Virus binnen Monaten grenzübergreifende Arbeitsmärkte und Wirtschaftsräume zerstört, die über 30 Jahre gewachsen sind. Nationale Alleingänge und politische Überreaktion helfen da keinem. Die Einsetzung eines „rapid alert temas“ gegen Verwerfungen in Lieferketten ist – unter der angekündigten Einbindung von IHK und Handwerkskammern – ein sehr guter Ansatz. Das von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger eingesetzte Frühwarnsystem für Bayern ist dafür eine erfolgreiche Blaupause.
Zurück zu einer neuen Normalität mit Corona heißt auch zurück zu einer europäischen Normalität mit Corona. Das Strategiepapier der Europäischen Kommission schafft dafür einen Weg, den wir konsequent im angekündigten „recovery plan“ fortschreiben müssen.
Bericht und Bild von Philipp Seitz