Sehr geehrte Damen und Herren,
wir sind eine Gruppe von mittlerweile 900 Lehramtsstudenten, die sich mit einem äußerst wichtigen Thema an Sie wenden möchte.
Die Prüfungen des 1. Staatsexamen hätten Anfang April bis auf mündliche und praktische Prüfungen bereits abgeschlossen sein sollen. (Allgemeine Info: Neben den Leistungen im Studium und der Ablegung der ersten Staatsexamensprüfung muss in der Lehrerausbildung noch das zweite Staatsexamen nach dem Referendariat abgeschlossen werden.)
Am 18.3. wurden die Prüflinge informiert, dass alle Prüfungen bis auf Weiteres ausgesetzt sind, mit dem Hinweis die Vorbereitungen weiter fortzusetzen. Am 29.4. erhielten wir nach 6 Wochen bangen die Auskunft, dass die Prüfungen ab dem 18.5. in Form einer Stundung der ursprünglichen Prüfungen weitergeführt werden. Ein Staatsexamen (beispielsweise 6 Prüfungen von bis zu 5 Stunden) hat normalerweise eine Vorbereitungszeit von mindestens einem Semester (6 Monaten) auf einen festen Zeitpunkt. Dieser fixe Zeitpunkt dient als mentales und emotionales Ziel.
Stellen Sie sich vor Sie trainieren über Monate hinweg auf einen Marathon. Dieser wird am Tag vorher abgesagt (was unter diesen Umständen verständlich ist). Dann sollen Sie aber weiter trainieren ohne zu wissen, wann der Wettkampf genau stattfindet. Plötzlich bekommen Sie die Information, dass der Wettkampf in zwei Wochen stattfinden soll. Werden Sie an diesem Tag ihre Bestzeit laufen? Sicher nicht. Kommen Sie ins Ziel? Vielleicht.
Durch die aktuelle Ausnahmesituation aufgrund der Pandemie sowie der fehlenden Transparenz und Kommunikation seitens des bayerischen Ministeriums für Unterricht und Kultus sehen wir, die Prüflinge der ersten Staatsprüfung für Lehramt, die Chancengleichheit und vor allem sichere Durchführung der Prüfungen massiv gefährdet. Da das Ministerium seit Wochen weder auf schriftliche Anfragen (z.B. durch den Bayerischen Lehrerinnen und Lehrerverband BLLV) noch individuelle Anfragen durch Einzelpersonen reagiert, wenden wir uns jetzt an die Presse um die Öffentlichkeit auf unsere Situation aufmerksam zu machen:
Wir fordern ein Überdenken und Anpassen der aktuellen Regelungen durch das Kultusministerium. Es kann und darf nicht sein, dass wir in der momentanen Ausnahmesituation genauso behandelt würden als gäbe es keine Pandemie.
Die einzigen Erleichterung, die uns gegeben wird, ist die Möglichkeit mit triftigen Gründen von der Prüfung zurückzutreten (mit der Konsequenz, ein halbes Jahr warten zu müssen und zum nächsten Prüfungstermin anzutreten und in den meisten Fällen bereits abgelegte Prüfungen zu wiederholen).
Durch die momentanen Rahmenbedingungen ist weder eine adäquate Prüfungsvorbereitung möglich, noch dazu wurde uns sechs Wochen lang (im Gegensatz zu den Abiturprüfungen) kein voraussichtlicher Prüfungstermin genannt. Alle Anfragen und Lösungsvorschläge von Seite der Studierenden aus wurden vom Ministerium ignoriert und nicht beantwortet!
Diese Unsicherheit war für die meisten von uns eine starke psychische Belastung in der sowieso schon schwierigen Zeit der Pandemie mit all ihren Einschränkungen des täglichen Lebens wie z.B. Kinderbetreuung, Jobverlust oder Wohnungsverlust.
Viele Prüflinge haben ihr finanzielles Standbein verloren und sind durch die momentane Situation privat sehr belastet. Der Zugang zu Fachliteratur, sowie die Arbeit in Lerngruppen waren aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht möglich.
Hinzu kommt die Belastung aufgrund der Prüfungsgegebenheit selber. Die Examensprüfungen zählen 60% der Gesamtnote des ersten Staatsexamens und können nur einmal wiederholt werden. Bei zweimaligem Nicht-Bestehen kann so ein mitunter fünfjähriges Studium ohne Abschluss beendet werden. Ein Zweitversuch unter den momentanen Bedingungen ist alles andere als vergleichbar mit anderen Prüfungsjahrgängen…
Zu Lösungsansätzen gehören beispielsweise die Bildung einer individuellen Notenzusammensetzung des 1. Staatsexamens aus den über z.B. im Lehramt Gymnasium 270 erbrachten ECTS, sowie alternative Prüfungsformen in Form einer weiteren wissenschaftlichen Arbeit oder die Wertung der Examensprüfungen im Frühjahr als Freiversuch, sodass der ohnehin schon enorme Druck, der auf den Prüflingen lastet, verringert wird.
Die Chancengleichheit bei der Durchführung der diesjährigen Examensprüfung ist aufgrund der aktuellen Ausnahmesituation im Vergleich zu den Vorjahren sicher nicht gegeben. Daher müssen entsprechende Anpassungen des Kultusministeriums erfolgen.
In Baden-Württemberg ist die Situation eine ähnliche. Von Seiten des BLLV wird am Dienstag eine offizielle Pressemitteilung über dieses Thema veröffentlicht.
Bitte helfen Sie uns Gehör zu verschaffen! Wir sind die Lehrerinnen und Lehrer der Zukunft. Die Situation ist für alle schwer. Sie muss aber nicht noch unnötig schwerer gemacht werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre angehenden, motivierten, aber sich vernachlässigt gefühlten Lehrer