Bericht: Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten / Bild: N. Koller
Mit Hilfe einer Online-Befragung von Waldbesucherinnen und Waldbesuchern ist der TUM-Lehrstuhl »Wald- und Umweltpolitik« der Frage nachgegangen, welche Bedeutung der Wald als Erholungsraum für die Menschen während der Corona-Pandemie hat und inwiefern der Wald als frei betretbarer Raum eine natürliche Alternative zum häuslichen Lockdown bietet. Gehen die Menschen häufiger in den Wald und zu welchen Waldorten fühlen sie sich hingezogen?
»Ich ging im Wald so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn.« Was der große Dichter Johann Wolfgang von Goethe hier mit wenigen Worten in seinem Gedicht »Gefunden« zum Ausdruck bringt, steht im Widerspruch zu zahlreichen Forschungsanstrengungen der Wissenschaftsdisziplin der Walderholung der letzten Jahrzehnte.
Hier hat sich der Begriff des »Erholungssuchenden« zur Beschreibung derjenigen Personen etabliert, die zur Entspannung und Regeneration den Wald besuchen.
Waldbesucher vs. Erholungssuchende
Dieser Begriff »Erholungssuchende« verdeutlicht die gegensätzliche Sichtweise auf den Prozess der Erholung. Geht die Walderholungsforschung davon aus, dass Menschen aktiv auf der Suche nach Entspannung im Wald sind, steht bei Johann Wolfgang von Goethe gerade das Zurücklassen von allem willentlichen Streben im Wald im Vordergrund. Die aktuelle medizinische Forschung im Bereich »Wald und Gesundheit« bestätigt Johann Wolfgang von Goethes Walderleben.
Menschen wollen im Wald Erholung finden, die Natur entdecken und nicht bestimmte Waldbilder suchen. Bislang ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt, was genau den sogenannten »Erholungseffekt « im Wald auslöst. Als mögliche Wirkmechanismen werden das besondere Waldinnenklima, das Vorhandensein bestimmter Baumarten oder Waldstrukturen, aber auch die Abwesenheit von Störungen wie zum Beispiel Luftschadstoffe oder Lärm erforscht.
In diesem Kontext ist es wichtig, dass sich die Wissenschaft bei ihrer Entwicklung von Erklärungsmodellen nicht von dem Konstrukt eines Besuchers irreleiten lässt, der sich im Wald auf einer aktiven Suche nach dem schönsten und besten Erholungsort befindet. Wenn sich die Wissenschaft bei ihrer Modellentwicklung ausschließlich dem »Suchvorgang« widmet, so läuft sie Gefahr etwas zu konstruieren, was im Waldalltagserleben der Menschen keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Die Corona-Pandemie hat erhebliche Veränderungen für das öffentliche Leben und die Bewegungsmöglichkeiten der Menschen im Freien mit sich gebracht. Durch die Ausgangsbeschränkungen wurden städtische, aber auch ländliche Naturräume wie zum Beispiel der Wald, zu den wenigen verbleibenden Orten, die einen Aufenthalt außerhalb des eigenen Wohnumfelds ermöglichten.
Mit Hilfe der Befragung von Waldbesuchern wollten wir herausfinden, wie Menschen den Wald während der Pandemie wahrnehmen und ob sich etwas an ihren Nutzungsverhalten, zum Beispiel die Häufigkeit der Waldbesuche, verändert hat. Insbesondere hat uns interessiert, ob die Menschen gerade in Krisenzeiten auf der »Suche« nach bestimmten Waldorten sind, die Abwechslung und Zerstreuung bieten.
In Kooperation mit den lokalen Forstbehörden stellten wir ab Beginn der ersten Lockerungsmaßnahmen Ende April 2020 in zahlreichen Waldgebieten Schilder (Abbildung 1) mit der Internetadresse zu unserer Online-Umfrage auf. Insgesamt nahmen 1.083 Waldbesucherinnen und Waldbesucher aus 96 Landkreisen in ganz Deutschland an der Online-Befragung teil.
An einer Vielzahl an Orten (u.a. Freising, Augsburg, Vogelsberg, Bamberg) trafen Waldbesucher auf das Hinweisschild »Ruft der Wald?« und wurden mit Hilfe eines QR-Codes gebeten, an der Umfrage teilzunehmen. Neben Fragen nach Assoziationen zur Freude und Ärger (»Bei meinem letzten Waldbesuch habe ich mich gefreut/geärgert über …«) sollten die Befragten auch die Bedeutung des Waldes für sich selbst seit der Corona- Epidemie einschätzen (»Seit Corona ist der Wald für mich …«).
Zusätzlich wurden folgende Fragen gestellt: »Gehen Sie häufiger oder seltener in den Wald?« »Was sind die Gründe für Ihre Waldbesuche (Wohnumfeld verlassen, in der Natur sein, Abschalten)?« Es folgten die üblichen sozio-demografischen Fragen nach den genutzten Verkehrsmitteln, der Entfernung des Waldes vom Wohnort, der Gruppengröße während des Waldbesuches, dem Alter und Geschlecht.
Der Wald ruft lauter seit Corona
Auf die Frage nach der Häufigkeit von Waldbesuchen während der ersten Welle der Corona-Pandemie zeigt sich ein deutlicher Besucheranstieg von fast 40 %. Unsere Befragten gaben an, dass sie jetzt einmal mehr pro Woche in den Wald gehen. Nur ein sehr geringer Anteil der Befragten (2%) geht seit Corona seltener in den Wald. Die Hälfte der Befragten ist als Paar unterwegs, ein Drittel allein und ein Sechstel bewegt sich in größeren Gruppen.
In einer weiteren Frage konnten die Befragten drei Motive für den Waldbesuch nach ihrer Relevanz bewerten. Geht es darum, a) das Wohnumfeld zu verlassen, b) in der Natur zu sein oder darum c) abzuschalten? Die Ergebnisse verdeutlichen, dass in erster Linie der Aufenthalt in der Natur und das Abschalten im Vordergrund stehen und weniger das Ziel, das häusliche Lockdown-Lager zu verlassen.
Der Waldbesuch ist also weniger eine Notlösung, als vielmehr ein bewusst gewählter Rückzugsort während der Corona- Zeit. Besonders ausgeprägt war der Wunsch »abzuschalten« bei den Besuchern, welche allein und zu zweit im Wald unterwegs sind. Bei Gruppen sind es offensichtlich andere Motive. Die quantitativen Analysen lassen also den Schluss zu, dass während der Corona-Pandemie die Bedeutung des Waldes als Erholungsraum für die Menschen wesentlich gestiegen ist. Können wir dieses Bild aus den offenen Antworten der Befragten rekonstruieren?