Rosenheim. Für den geplanten Neubau zweier zusätzlicher Bahngleise als nördliche Zulaufstrecke zum Brenner-Basistunnel hat die Regierung von Oberbayern das Raumordnungsverfahren abgeschlossen und das Ergebnis der landesplanerischen Beurteilung vorgelegt. Es handelt sich um die Strecke zwischen den Gemeinden Tuntenhausen und Kiefersfelden an der deutsch-österreichischen Staatsgrenze.
Von den fünf Grobtrassenvarianten, die die DB Netz AG als Vorhabenträgerin in das Verfahren eingeführt hat, hat sich eine (Variante Blau östlich des Inns) als nicht raumverträglich erwiesen. Die vier weiteren Varianten – Oliv, Gelb und Türkis westlich des Inns und Violett östlich des Inns – sind dagegen mit umfangreichen Maßgaben raumverträglich. Bei den Maßgaben handelt es sich um Bereiche wie Immissionsschutz, Land- und Forstwirtschaft sowie Natur und Landschaft
Welche der Varianten weiterverfolgt werden soll, obliegt der Entscheidung der DB Netz AG als Vorhabenträgerin. Eine rechtsverbindliche Genehmigung des Vorhabens bleibt einem Planfeststellungsverfahren des Eisenbahnbundesamts vorbehalten.
Bayerns Wirtschafts- und Landesentwicklungsminister Hubert Aiwanger betont: „Die Debatte um den Brenner-Nordzulauf geht in die nächste Runde, die betroffene Region hat mit Spannung auf das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens gewartet. Die weitere Planung konzentriert sich jetzt auf eine handvoll konkreter Trassenvorschläge, die weiter beleuchtet und gegebenenfalls verbessert werden sollen. Am Ende soll eine verträgliche und richtige Entscheidung für die Bürger, die Natur und die Wirtschaft getroffen werden.“
Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer sagt: „Der einzige Verfahrensschritt einer bayerischen Behörde ist nun abgeschlossen. Dafür danke ich der Regierung von Oberbayern. Mir ist wichtig zu betonen, dass damit noch nicht entschieden ist, ob gebaut wird. Das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens entfaltet keine unmittelbare Rechtswirkung. Deshalb ist nun der Bund am Zug, denn er ist für das Projekt zuständig und am Ende entscheidet der Deutsche Bundestag darüber. Unser bayerischer Koalitionsvertrag fordert jedenfalls ganz klar, dass zunächst die Erforderlichkeit einer Neubaustrecke nachzuweisen ist. Der Bund hat eine Szenarienstudie erstellt, aber diese ergibt ein entschiedenes Vielleicht. Darüber hinaus fordert Bayern im Interesse seiner Bürger maximale Anwohnerfreundlichkeit. Das heißt es braucht Lärm und Landschaftsschutz, vorrangig durch weitgehend unterirdische Streckenführung. Genau dafür mache ich mich beim zuständigen Bund stark.“
Oberbayerns Regierungspräsidentin Maria Els ergänzt: „Mit dem Ergebnis des Raumordnungsverfahrens liegt nun eine gute Grundlage für die weitere Planung dieses Großprojekts in dem in vielerlei Hinsicht sensiblen Inntal und Raum Rosenheim vor. Ich freue mich, dass die Regierung von Oberbayern das komplexe Raumordnungsverfahren, zu dem rund 30.000 Stellungnahmen eingingen, mit größter Sorgfalt zügig durchführen konnte.“
Klaus-Dieter Josel, Konzernbevollmächtigter der DB für den Freistaat Bayern, erklärt: „Mit dem Ergebnis des Raumordnungsverfahrens ist ein wichtiger Meilenstein erreicht. Wenn wir nun im Trassenauswahlverfahren fortschreiten, geht es darum den verkehrlichen Nutzen mit möglichst wenig Eingriffen in Einklang zu bringen. Die Bahn hat zusammen mit der Region dafür Kriterien entwickelt. Anhand dieser Kriterien können die Trassen bewertet werden. Dabei werden auch raumordnerische Bewertungen einfließen. Von den Trassen hat sicherlich diejenige gute Chancen, die die geringsten Eingriffe mit sich bringt. Unser Ziel ist es, in den kommenden drei bis vier Monaten soweit zu sein.“
Der Brenner-Nordzulauf liegt auf der Achse München – Verona und ist Teil der nördlichen Zulaufstrecke zum Brenner-Basistunnel. Die Brennerachse ist Teil des transeuropäischen Skandinavien-Mittelmeer-Korridors mit großer strategischer Bedeutung für den Verkehr in Europa. Mit dem Ausbau des Brenner-Nordzulaufs will die DB Netz AG eine zukunfts-, leistungs- und konkurrenzfähige Schieneninfrastruktur schaffen und einen Beitrag zur umweltfreundlichen Mobilität leisten – mit dem Ziel, vor allem den Güterverkehr in großem Umfang von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist das Projekt als vordringlicher Bedarf eingestuft.
Die Regierung von Oberbayern als höhere Landesplanungsbehörde hat auf der Grundlage der Verfahrensunterlagen der DB Netz AG am 29. Mai 2020 das Raumordnungsverfahren eingeleitet und fünf unterschiedliche Grobtrassenvarianten für zwei Neubaugleise zwischen Tuntenhausen und Kiefersfelden auf ihre Vereinbarkeit mit den Erfordernissen der Raumordnung hin geprüft. Dabei wurden insbesondere rund 100 Stellungnahmen von Kommunen, Behörden, Verbänden und Organisationen sowie 30.000 Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit vor allem aus dem Planungsraum ausgewertet. Sie hatten schwerpunktmäßig Belange des Immissionsschutzes, der Land- und Forstwirtschaft, von Natur und Landschaft, des Verkehrs und der Siedlungsstruktur zum Gegenstand. Das Ergebnis des Verfahrens wird nun in einer rund 180 Seiten umfassenden landesplanerischen Beurteilung bekannt gegeben.
Danach ergibt sich für alle fünf Varianten, dass die Belange des Verkehrs, insbesondere der Schieneninfrastruktur, der Wirtschaftsstruktur und der Raumstruktur von der Realisierung des Vorhabens deutlich profitieren würden, sofern jeweils auch das Oberzentrum Rosenheim dauerhaft in das Fernverkehrsnetz eingebunden bleibt. Negativ betroffen wären in allen Varianten in jeweils unterschiedlichem Maße insbesondere Belange des Immissionsschutzes, der Siedlungsstruktur, der Erholung, der Land- und Forstwirtschaft, von Natur und Landschaft sowie der Wasserwirtschaft.
Nach Abwägung aller für und gegen die einzelnen Varianten sprechenden Belange hat sich aus landesplanerischer Sicht die Variante Blau als nicht raumverträglich herausgestellt. Vor allem mehrfache Beeinträchtigungen größerer Siedlungsgebiete und Hauptorte, erhebliche Inanspruchnahmen und Zerschneidungen von Erholungsräumen sowie land- und forstwirtschaftlicher Flächen, Querungen wasserwirtschaftlicher Schutzgebiete, weitläufige Zerschneidungen des Landschaftsraums insbesondere östlich des Inns sowie erhebliche natur- und artenschutzrechtliche Beeinträchtigungen bisher gering beanspruchter Lebensräume könnten in dieser Variante insgesamt auch bei möglichst schonender Planung nicht entscheidend gemindert werden.
Die Varianten Oliv, Gelb, Türkis und Violett entsprechen dagegen unter Berücksichtigung diverser Maßgaben für die weitere Planung den Erfordernissen der Raumordnung. Um insbesondere den Belangen des Immissionsschutzes, der Siedlungsstruktur, der Erholung, der Land- und Forstwirtschaft, von Natur und Landschaft und der Wasserwirtschaft besser Rechnung tragen zu können, wurden für die jeweiligen Varianten eine Reihe von Maßgaben festgelegt. Hierzu zählen u. a. die Prüfung weiterer Tunnelführungen über die schon jetzt geplanten Tunnelabschnitte hinaus, eine möglichst geländeangepasste und flächensparende Trassierung, Vermeidung von Verschlechterungen im Schienenpersonennahverkehr sowie Minimierung der Lärmbelastung.
Die landesplanerische Beurteilung ist im Volltext hier einsehbar (bzw. unter www.regierung.oberbayern.bayern.de unter dem Pfad „Service > Planverfahren, Planfeststellungen > Beschlüsse, Bescheide, abgeschlossene Verfahren > Wirtschaft, Landesentwicklung und Verkehr“ und dort unter „Abgeschlossene Verfahren“.
Zum Inhalt und Ablauf eines Raumordnungsverfahrens:
Ziel eines Raumordnungsverfahrens ist es festzustellen, wie sich ein geplantes Vorhaben auf die für die Raumordnung relevanten überörtlichen Belange wie beispielsweise Natur und Landschaft, Land- und Forstwirtschaft, Wasser, Verkehr, Rohstoff- und Energieversorgung, Siedlung sowie Wirtschaft auswirkt. Den Maßstab bilden das Bayerische Landesplanungsgesetz (BayLplG), das Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP) sowie der jeweilige Regionalplan. Eine Bedarfsprüfung erfolgt im Raumordnungsverfahren nicht, sondern ist einem nachfolgenden Zulassungsverfahren vorbehalten.
Den Abschluss des Raumordnungsverfahrens bildet – nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung eingegangener Stellungnahmen – die sogenannte landesplanerische Beurteilung: Dieses fachbehördliche Gutachten stellt fest, ob ein Vorhaben oder eine Variante davon raumverträglich, nicht raumverträglich oder unter bestimmten Maßgaben raumverträglich ist. Es hat jedoch keine unmittelbare genehmigende oder ablehnende rechtliche Wirkung. Eine rechtsverbindliche Entscheidung über ein bestimmtes Vorhaben ist einem späteren Genehmigungsverfahren vorbehalten, in dem das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens in allen Abwägungs- und Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen ist. Nicht Gegenstand des Raumordnungsverfahrens sind private Belange sowie die Prüfung des Bedarfs für das Vorhaben. Die landesplanerische Beurteilung enthält zudem zahlreiche fachbehördliche Hinweise zum weiteren Planungsprozess. Diese Hinweise stützen sich vor allem auf die fachbehördlichen Stellungnahmen im die Rahmen des Beteiligungsverfahrens bei der höheren Landesplanungsbehörde eingegangen sind.