Regensburg.  „Frauen sind keine kleinen Männer.“ – Mit dieser im Jahr 2000 von der medizinischen Gesellschaft in den USA formulierten These wurde die Türe für die moderne Gendermedizin geöffnet. „Die hochkarätig besetzte Diskussionsrunde und das hohe Interesse an unserer Veranstaltung haben gezeigt, wie breit das Thema ist“, lautete das Fazit von Landrätin Tanja Schweiger im Anschluss an die von den Gleichstellungsstellen von Stadt und Landkreis Regensburg sowie vom Universitätsklinikum Regensburg (UKR) organisierte Hybridveranstaltung zum Thema „Geschlechterspezifische und gendersensible Medizin am Beispiel Herzinfarkt und metabolisches Syndrom“. Rund 40 Interessierte waren in den Großen Sitzungssaal im Landratsamt gekommen, über 150 verfolgten das Expertinnen-Forum via Livestream. Neben einem klaren Plädoyer für die Prävention war die wichtigste Erkenntnis des Abends: Je höher der Grad der Gleichstellung der Geschlechter, desto geringer der Unterschied in der Lebenserwartung.

„Männer und Frauen und das dritte Geschlecht profitieren gleichermaßen von einer geschlechtersensiblen Gesundheitsversorgung“, unterstrich Prof. Dr. Martina Müller-Schilling, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Regensburg, in ihrem Fachvortrag „Sind Frauen und Männer anders krank?“. Gendermedizin berücksichtige dabei nicht nur die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in biologischer Hinsicht, sondern die sozialen und psychologischen Unterschiede sowie die unterschiedlichen Symptome, Ausprägungen und Therapieantworten von Krankheiten. „Es betrifft 100 Prozent der Bevölkerung“, so Prof. Müller-Schilling weiter, „wir wollen nicht nur personalisierte Medizin, sondern personalisierte Prävention.“


Zur Aufklärung über den aktuellen Stand der Forschung war die international renommierte deutsche Expertin zum Thema geschlechtersensible Medizin, Privatdozentin Dr. Ute Seeland von der Berliner Charité, zugeschaltet. Neben einem historischen Abriss zur Gendermedizin, die mit der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Geschlechterspezifische Medizin (DGesGM) im Jahr 2007 und der geplanten Aufnahme als Lehrfach in die Approbationsordnung für künftige Ärztinnen und Ärzte ab 2025 zwei wichtige Meilensteine genommen haben wird, führte sie die These „Frauen sind keine kleinen Männer“ an verschiedenen Zahlen und Beispielen sehr anschaulich aus. So war beispielsweise die Lebenserwartung bei Männern im Jahr 2020 bei 78,9 Jahren und bei Frauen bei 83,6 Jahren. In den letzten 40 Jahren wuchs die Lebenserwartung bei Frauen um 7,3 Jahre, bei Männern um 9,3 Jahre. Interessanter Aktualitätsbezug: Die Pandemie kostete mehr Männern als Frauen das Leben – außer in Indien, weil dort den Frauen aus soziologischen Aspekten der Zugang zu guter medizinischer Versorgung oft verwehrt ist.

„Herzbube/Herzdame“ – Unter diesem Titel beleuchtete Prof. Dr. Andrea Bäßler, Leiterin der Kardiologischen Ambulanz/Lipidambulanz der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II des UKR und Frauenbeauftragte der Fakultät für Medizin der Universität Regensburg, die Unterschiede von Herzinfarkten bei Männern und Frauen. Statistisch starben 2020 in Bayern rund 30 Prozent mehr Männer als Frauen infolge von Herzinfarkten. Die so genannten Ischämischen Herzerkrankungen sind somit Todesursache Nummer 1. Frauen sind rund zehn Jahre später betroffen, wobei Diabetes, Bluthochdruck, Rauchen und Depression bei Frauen noch relevantere Risikofaktoren für Herzkreislauf-Erkrankungen darstellen. Auffällig sei auch, dass die „weiblichen“ Symptome vielfältiger sind. So fehlten oft die für Männer klassischen Warnzeichen wie Brustschmerz und Schweißausbruch, was zu einer Fehleinschätzung der Situation und der Verzögerung lebensrettender Maßnahmen führe. Auffällig sei auch, dass ältere Frauen aus Bescheidenheit später in die Notaufnahme kämen. „Frauenherzen leiden länger“ titelte das Ärzteblatt im Dezember 2017 zu dieser Betrachtung.

Das Metabolische Syndrom fasst das „tödliche Quartett“ zusammen: Übergewicht, Bluthochruck, Diabetes und schlechte Blutfettwerte. Die Problematik „Starke Frauen und Männer“ erläuterte Dr. Melanie Kandulski, Leiterin der Endokrinologie und Diabetologie der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des UKR. Frauen versterben demnach häufiger, Männer früher an den Folgen des Metabolischen Syndroms, was beispielsweise am rasanten Anstieg der Cholesterinwerte bei Frauen nach der Menopause läge. Frauen sind im Altersbezug adipöser als Männer, diese wiederum erkranken häufiger an Diabetes. Wichtig sei deshalb ein regelmäßiger Gesundheits-Check-Up, den die Krankenkassen bezahlen. Hier müsse berücksichtigt werden, dass Männer häufiger eine gestörte Nüchternglukose, Frauen häufiger eine Glukosetoleranzstörung hätten. Unterm Strich seien, so Dr. Kandulski, Frauen beim Metabolischen Syndrom unterdiagnostiziert. Als Prävention und Therapie sollten Frauen, die sich in der Regel bewusster als Männer ernähren, zu mehr Bewegung motiviert und die bewegungsfreudigeren Männer für gesunde Ernährung sensibilisiert werden.

Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer zeigte sich sehr zufrieden mit dem Abend: „Mit der Gesundheitsregion plus sind Stadt und Landkreis gemeinsam für die regionale gesundheitliche Versorgung verantwortlich. Zur Optimierung der Gesundheitsversorgung für alle Menschen zählt auch, Fachkräfte und die interessierte Öffentlichkeit für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin zu sensibilisieren.“

Besondere Wertschätzung wurde zum Ende der Veranstaltung sowohl von Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer als auch von Landrätin Tanja Schweiger der geballten Expertinnen-Kompetenz der Referentinnen vom Universitätsklinikum und der zugeschalteten Charité-Spezialistin Dr. Ute Seeland entgegengebracht. „Danke für einfache und verständnisvolle Vorträge“, fasste die Landrätin zusammen.

(Bericht und Bild: Landratsamt Regensburg)